Drei der 44 Bewerber um den Tourismuspreis Sachsen-Anhalt 2025 werden Ende Oktober ein gläsernes Kunstwerk in den Händen halten. Geschaffen wurde der Pokal in der Glasmanufaktur Harzkristall in Derenburg. Ein paar Szenen seiner Entstehung aus der Höllenglut des Schmelzofens.
Alles ist vorbereitet. Als letzten Arbeitsgang vor dem Feierabend schaufelten die Männer gestern Kristallglas-Pellets schichtweise in den Ofen. Rund 1.300 Grad Celsius ließen das Gemenge über Nacht zu einer gelbglühenden, zähen Masse schmelzen. Wenn Rene Jacksch, Glasmacher-Altgeselle und Hüttenleiter, jetzt die Ofentür öffnet, scheint er in den Schlund der Hölle zu blicken. Glühende Hitze schlägt ihm entgegen. Und ein Licht, grell wie von der Sonne selbst.
Er blickt sich um, ob hinter ihm alles bereitsteht: die Kelle, das nasse Streichbrett, Glasfolie zum Färben in blau, gelb, violett, grün… „Bei der Glasherstellung kann man schließlich nicht mitten im Arbeitsablauf mal schnell noch irgendwo was holen gehen.“ Dann läuft der Countdown. Der Pokal wird entstehen.
Keine Kreation gleicht der anderen
Doch die Arbeit an diesem Kunstwerk begann schon viel früher. Die Derenburger Glasmacher haben mit ihren außergewöhnlichen Entwürfen die Ausschreibung der IMG gewonnen und gemeinsam mit den Touristikern die Details besprochen. Am Ende stand fest, wie das Stück aussehen soll: eine aus etwa einem Dutzend Glasdreiecken zusammengefügte Skulptur, die an einen vielfarbigen Stern erinnert. Einig war man sich auch, dass die Sieger aller drei Kategorien – Innovation, Digitalisierung, Nachhaltigkeit – den gleichen Pokal erhalten. Und doch nicht den gleichen, denn wo handgefertigtes Glas die Hauptrolle spielt, entsteht jedes Stück in Form und Farbverlauf einen Hauch anders.
Christian Schmidt, Glasmacher und Schleifermeister, greift zur Kelle, rund zwei Meter lang und am vorderen Ende mit einem halbkugelförmigen Schöpfgefäß. Selbst ohne Glas wiegt das wuchtige Instrument um die 15 Kilogramm. Alles läuft jetzt wie ein Uhrwerk. Alles ist Zentimeterarbeit. Alles geschieht fast wortlos. Jeder der Männer weiß, wo er stehen, mit welchem Werkzeug er zupacken muss und wann die Kelle mit dem glühenden Material an ihm vorbeischwenkt.
Jacksch erwartet die und streut hauchdünnes Farbglas, sogenannte Folie, in das heiße Glas, das ohne diese Zutat wieder kristallklar aushärten würde. Während Schmidt den zäher werdenden Inhalt seiner Kelle behutsam auf eine Stahlplatte fließen lässt, streut der Hüttenleiter und auch Designer des künftigen Pokals noch hier und da Farbfolie nach. Auf dem kühlen Stahl beginnt die Flüssigkeit zu erstarren. Noch erinnert deren Form an einen grob flachgedrückten Kuchenteig. Doch Jacksch greift nach einem wassergetränkten Glättholz und streicht - die verdampfende Flüssigkeit wie ein Schmiermittel nutzend – alles zu einer etwa einen Zentimeter dicken Scheibe. Während die langsam abkühlt, zuerst dunkelrot und dann durchsichtig wird, zeigt sich bereits der Verlauf der Farben. Doch abkühlen ist relativ. Das Stück kommt erst einmal in einen Ofen, in dem „nur“ 500 Grad Celsius herrschen. Dort wird es wie vorprogrammiert über Nacht auf 50 Grad heruntergefahren, so langsam, dass keine Spannungen im Material entstehen.
Derenburger Glas für Denkmale und Neubauten
Während Schmidt und Jacksch das Stück im Kühlofen verstauen, versammelt sich auf der Zuschauergalerie ein Trüppchen Besucher, das per Film und vom Gästeführer Heinz Rose schon jede Menge über die Firma erfahren hat: 1946 gründeten heimatvertriebene Sudetendeutsche die Hohlglasveredelungsgenossenschaft Wernigerode. 1949 wurde daraus der VEB Glaswerk Derenburg. Seit 2013 gehört der rund 40 Mitarbeitende zählende Betrieb zur Gerhard Bürger Stiftung, die sich für die Förderung von Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur sowie Denkmalschutz einsetzt. Im Laufe der Jahrzehnte wurde häufig an- und umgebaut, wodurch immer mehr Techniken möglich waren.
Mit Vielfalt und Perfektion überzeugte die nördlichste Glashütte Deutschlands nicht nur Sammler klassischer und ausgefallener Kreationen, sondern auch Schöpfer oder Restauratoren bekannter Gebäude. So stammen beispielsweise die Glasbausteine in den Fenstern des Lokschuppens Göttingen aus Derenburg, die Decken-Leuchten im Paul-Löbe-Haus, dem Abgeordneten-Café des Bundestags, die Kristallglaskugeln der Straßenlaternen auf dem Domplatz Worms oder historisches Leuchtenglas im Hamburger Rathaus. Auch so mancher Designer hat am hiesigen Ofen gearbeitet; einige schon als Student einer der Hochschulen, die mit der Hütte kooperieren, weil sie ihren Absolventen ein Gefühl für den Werkstoff Glas mitgeben möchten.
Jetzt also in der Ofenhalle das Finale des öffentlichen Rundgangs. Zugleich mit den am Pokal arbeitenden Männern, demonstriert ein Gast-Glasmacher, wie er Schalen und Vasen herstellt. Er verkauft seine Kreationen gleich vor Ort. Doch die Auswahl für passionierte Glas-Fans und solche, die es angesichts des Könnens der Männer vor ihnen soeben erst geworden sind, ist noch viel größer. Von der Glasmurmel für 20 Cent bis zu handgefertigten Figuren für 4.200 Euro ist in der Einkaufswelt oder im Online-Shop der Manufaktur alles zu erstehen.
Der letzte Schliff
Am nächsten Tag, wenn die Glasscheibe für den Pokal den Kühlofen verlassen kann, ist Christian Schmidt als Schleifer gefragt. Er hat in den vergangenen Tagen die Stück für Stück aus dem Ofen gekommenen Scheiben in einer Kiste versammelt. Nun gilt es, mit einem Trennschleifer die klecks-runden Teile zu einer Fußscheibe und vor allem zu Dreiecken zu schneiden. „Ich schaue dabei, wie der Farbverlauf ist und welche Größen ich für den Pokal brauche.“ Am Ende muss, damit sich kein Preisträger in die Finge schneidet, geschliffen und poliert werden. Zuerst auf gröberen Schleifscheiben, dann auf immer feineren. Zum Schluss werden die Dreiecke zusammengefügt und verklebt.
Die Glasmanufaktur Harzkristall hat übrigens 2006 selbst den Tourismuspreis gewonnen. Ausgezeichnet wurde ihr Konzept, mit dem sie sich Besuchern öffnete: die „GLASerlebniswelt im Harz“.
Autorin: Marlis Heinz. Fotos: Volkmar Heinz
Mehr Informationen:
www.sachsen-anhalt-tourismus.de/tourismuspreis
www.harzkristall.de
www.harzkristall-shop.de/collections/limitierte-glaskunst
www.gerhard-buerger-stiftung.de