Man schrieb den 6. November 1632. Der dreißigjährige Krieg ging in sein fünfzehntes Jahr. Beim Städtchen Lützen waberte noch der herbstliche Morgennebel über die fast ebenen Äcker. Zwei Heere, 35.000 Männer, marschierten aufeinander zu: von Süden kommend die Schweden, angeführt von König Gustav II. Adolf und von Norden die Truppen der katholischen Allianz unter Wallenstein. Gegen 11 Uhr fiel der erste Schuss. Wenig später erfüllten Kanonendonner und Gewehrschüsse, Befehle der Offiziere und Schmerzensschreie der Verwundeten, Schlachtrufe und das Wiehern der Pferde die Luft. Als der Pulverrauch am Abend verflog, war die Erde blutgetränkt. 6.000 bis 9.000 Menschen hatten ihr Leben gelassen, unter ihnen der schwedische König Gustav Adolf. Auch dessen Leichnam war nicht erspart geblieben, ausgeplündert zu werden. Aber wegen seines Standes ließ man ihn nicht zwischen all den anderen Gefallenen zurück.
Die Schlacht bei Lützen war eine der grausamsten im Dreißigjährigen Krieg. Dass sie – obwohl nicht kriegsentscheidend – eine der berühmtesten wurde, liegt vor allem am Tod von Gustav Adolf, der charismatischen Lichtgestalt des Protestantismus. Gleich nach der Schlacht wurde ein Findling an die Stelle seines Todes gerollt und dann 1873 durch einen von Schinkel entworfenen Baldachin bekrönt. Es folgten Gedächtniskapelle und zwei Holzhäuser. Die tausenden anderen Toten fielen dem Vergessen anheim. Ihrer Habseligkeiten beraubt, von Kameraden und der Zivilbevölkerung hastig verscharrt.
Moderne Archäologie zeigt Schlachtverlauf wissenschaftlich korrekt
Als 2011 von Forschenden, die das Schlachtfeld auch systematisch mit Metallsonden untersuchten, ein unberührtes Massengrab entdeckt wurde, war längst eine andere Epoche der Geschichtsschreibung angebrochen. Mehr noch: Funde wie die Himmelsscheibe von Nebra oder die Schamanin von Bad Dürrenberg hatten Sachsen-Anhalt zum Hotspot der deutschen Archäologie werden lassen. Wieso das Grab der 47 Gefallenen bei Lützen mit diesen Weltsensationen verglichen werden kann, erklärt Landesarchäologe Prof. Harald Meller: „Der 6. November 1632 wurde in den alten Chroniken interessenabhängig beschrieben und mit Legenden ausgeschmückt. Erst die moderne Archäologie ermöglicht, Fakten zum Schlachtverlauf wissenschaftlich korrekt darzustellen. Tausende Fundstücke offenbarten, wo die Schweden standen, wo die Truppen Wallensteins. Und dann fanden wir das Grab; 47 Skelette, deren individuelle Biografien durch die neuesten Analysemethoden teilweise rekonstruiert werden konnten. Massengräber mit gut erhaltenen und deshalb aussagestarken Überresten von Soldaten dieser Zeit sind sehr selten, vergleichbar ist nur das von Wittstock.“
Restauratoren forschten nach Herkunft und Leben der Soldaten
Um auch von diesen Menschen – wie von den Heerführern seit Jahrhunderten – zu erzählen, konzipierten Meller und seine Mitstreiter aus dem Landesmuseum für Vorgeschichte gemeinsam mit Schlachtfeldarchäologen anderer europäischer Länder eine Ausstellung am Schauplatz des Gemetzels. Kernstück ist das Grab, das in zwei Erdblöcken zu insgesamt 54 Tonnen aus dem Boden gehoben, nach Halle ins Landesmuseum gebracht und dort analysiert und konserviert wurde.
„In unserer Restauratoren-Werkstatt gaben wir den Männern ihre Individualität zurück. So ermittelten wir aus deren Zähnen und Knochen beispielsweise, wovon sie sich in welcher Lebensphase hauptsächlich ernährten, ob sie hungern mussten, woher sie stammten, welche Krankheiten oder Verletzungen sie erlitten hatten, wodurch und in welchem Alter sie letztlich auf dem Schlachtfeld umkamen. Dann fügten wir die Skelette so zusammen, wie wir sie gefunden haben – obenauf wieder jenen Mann, der wie der Gekreuzigte mit gespreizten Armen auf den anderen lag.“ Bei allem sei es nicht darum gegangen, die Gefallenen zu heroisieren, „…sondern die Schrecken der Schlacht abzubilden, in der Menschen für eine Sache starben, die nicht die eigene war. Wie alle Kriege sinnloses Menschensterben sind.“
Einzigartiges Exponat: das konservierte Massengrab
So erfährt der Besucher des neu erbauten Museums „Lützen 1632“ zwar – wie in anderen Museen auch – einiges über den Dreißigjährigen Krieg. Doch dann betritt er im Untergeschoss einen dunklen Raum mit dem einzigartigen Exponat. „Erst einmal schaut er jedoch in die bekannten Gesichter“, erläutert Manuela Dietz, die Leiterin der städtischen Museen Lützen. „Er sieht die stolzen Heerführer. Bis er sich umdreht und auf das Massengrab schaut.“ Behutsam beleuchtet steht es aufrecht, ohne Glas davor, wie ein riesiges Gemälde, wie ein Triptychon. Irgendwann bemerkt der Eintretende dann auch die Exponate an den Wänden des sakral anmutenden Raumes: Fundstücke vom Schlachtfeld vor der Tür, Landkarten, Briefe, die Münze, die ein Soldat vor dem Kampf vermutlich in seinem Fußlumpen versteckt hatte. Per Knopfdruck können Neugierige auch jedem der 47 Individuen nahekommen und lesen, was die Archäologen über sein Leben und Sterben herausgefunden haben.
Um die Gedenkstätte wandern und auf Zeitreise gehen
Durch den schlichten, im Herbst 2024 eröffneten Neubau hat die über die Jahrhunderte entsprechend dem Zeitgeist gewachsene Gedenkstätte an Lützens Stadtrand eine völlig neue Facette erhalten. Entstanden aus einem Wallfahrtsort für Verehrer des gefallenen Schwedenkönigs, wurde sie zu einem Gedenkort. In einem der roten hölzernen „Schwedenhäuschen“ ist eine Ausstellung über die sich wandelnden Blicke auf Gustav Adolf zu sehen; es wird sogar die Frage „Kriegsheld oder Kriegsverbrecher?“ gestellt.
Auf dem sieben Kilometer langen „Schlachtfeldpfad“, der über Feldwege bis nach Lützen führt, können Besucher die Gedenkstätte umrunden, an sieben lebensgroßen Metallsilhouetten von Protagonisten innehalten und mittels QR-Code auf Zeitreise gehen. So kommt es nahe, das Donnern und Schreien…
Autorin: Marlis Heinz
Weitere Informationen:
https://museum-luetzen-1632.de/